Freitag, 20. Juni 2014

Kulturabwertung

Werte haben was mit sozialen Positionierungen zu tun. Genauer: mit sozialen Beziehungen.
Was soll das heißen? Werte haben was mit dem Geschmack, dem Habitus zu tun: was finde ich gut, was finde ich schön - was stoße ich ab, was finde ich doof oder häßlich. Kulturen sind Wertesysteme. Kulturen sind auch Verstehensgemeinschaften, dass gleiche Dinge mit Zeichen wie der Sprache verknüpft werden, aber nicht nur Frau=die anatomisch weibliche Person, sondern eben auch Werte, wie Frau=das schöne Geschlecht. Und das hat auch was mit sozialen Beziehungen zu tun, weil Werte nicht universell sind - ich als heterosexuelle Frau muss nicht männlich sein, aber mein Gegenüber mag ich dann anscheinend in einer bestimmten Form von Beziehung nur, wenn er männliche Eigenschaften hat, die ich dann eben schön finde. Trifft zwar nicht immer zu, das ist aber egal. Ich finde jemanden in einer bestimmten Position, die es zu mir verhaltend gibt, nur gut, wenn bestimmte Werte erfüllt werden.

Man spricht mit Leuten über Dinge, um soziale Beziehungen auf zu bauen. Denn so schafft man eben Beziehungen oder sucht nach vorhandenen - was mag man? Und sind die anderen nicht doof, weil sie es nicht mögen? Was, du hast den Film auch gesehen und du findest die gleichen Stellen lustig wie ich? Wir sind Freunde. Denn positiv verortet man sich meist zu Personen, die gleiche Wertesysteme haben. Das drückt sich in einem bestimmten Kulturkreis aus, in Subkulturen, in Habitus, Mode und das alles natürlich in der Sprache. Bei Freunden geht es meist um eine Wir-Gemeinschaft. Denn alleine im weiten Feld, auch im richtigen Bourdieu-Feld, macht es keinen Spaß, was hat man dann schon von seinen Werten. Auch wenn man sich auch nur damit allein gut fühlen kann - ist man denn nicht besser als die anderen?
Wir - Ihr  - Sie. Wir, das Gegenüber und die Anderen. Und schon habe wir eine halbwegs organisierte Gesellschaft. Denn die mit den gleichen Wertesystemen gruppieren sich gerne. Bloß es gibt ein Problem: Die mit den anderen Wertesystemen sind doof, es gibt nicht einfach nur ein Nebeneinander, da entstehen diese Hierarchien.

Leben macht Spaß. Und beim Leben verortet man sich sozial, weil man eben immer bei dem was man gut findet, ausdrückt, aus welcher Position und welchem Wertesystem heraus man spricht. Ich spreche über uns, das macht Spaß. Ich spreche über die anderen, das macht auch Spaß, dann verstärke ich nämlich unser Wir-Gefühl. Ich lästere gerne, das macht auch Spaß. Und das bedeutet Be-werten. Wo es aber schwierig wird: Sich selbst zu bewerten und nicht einfach nur gut zu finden. Denn das bedeutet eine Außenposition zu sich und seiner Gruppierung einnehmen, dann kann man nicht so einfach glücklich vor sich hinleben. Was ist Bewerten? Meist abwerten, oder na ja - zu dem eigenen Wertesystem in Bezug setzen. Ich finde das halt nicht so gut und das finde ich gut. Von einer Außenposition zu sich selbst muss man aber von dem eigenen Zentrum, der eigenen Sonne im Universum absehen und Wertesysteme in Relation zueinander setzen, damit das andere nicht einfach das Bewertete und damit Abgewertete ist. Das macht keinen Spaß, das gefällt mir nicht - es ist ja auch außerhalb einer solchen durch Kategorien verursachten Verortung eines Gefällt mir. Facebooks Daumen-Hoch-Klicks sagen etwas über die Personen aus, aber über die ganze Strukturierung dieses Plattformsystems zu sprechen, ist etwas anderes, da muss man vom eigenen Wertesystem abstrahieren. Aber das kann auch Spaß machen, jeder macht sich darüber lustig, dass Facebookfreunde nicht unbedingt echte Freunde sind, aber auch dieses Abwerten ist nichts anderes als eine soziale Positionierung.

Innerhalb einer Gruppe, in der ich bin, fällt es mir leicht, einfach so zu leben. Wenn und weil uns allen das gleiche gefällt. Wenn ich aber nun nicht in einer Gruppe bin, außen stehe - aber gerne in die Gruppe reinmöchte, ich aber nicht akzeptiert werde, weil ich es nicht schaffe durch die Sprache ein ähnliches Wertesystem auszudrücken, dann entwickle ich vielleicht ein Verhalten: Wie komme ich rein? Und wenn man die Sprache nicht sprechen kann, lernt man vielleicht, die Sprache zu Analysieren. Um sich das anzueignen, um mitsprechen zu können. Und irgendwann klappt es, ganz automatisch. Bloß was einen aus der Gruppe gleich wieder rauskatapultiert: Innerhalb der Gruppe die Gruppe zu analysieren. Das macht man nicht von drinnen, nur von außen. Drinnen ist das Leben, da will man keine Außensicht. Und schon ist das Vokabelnlernen dahin. Und wenn man bei der Punkergruppe zu dem pinken Iro noch eine teure Markenjeans kombiniert hat, dann merkt die Gruppe auch: da stimmt was nicht. Denn auch Kleidung ist eine Sprache, wie alles mögliche am Verhalten, die eben Zugehörigkeit ausdrückt. Wie auch Wertesysteme - wie, du unterstützt den Kapitalismus? Du bist kein sich gegen Kleidungsnormen auflehnender Punk. Irgendwie muss man lernen, das Analysierte auch authentisch auszudrücken und eben nicht nur aufzusagen.

Ich forsche gerne. Ich spreche gerne über das Verhalten von Menschen, aber auch über mein eigenes. Wahrscheinlich hat das was mit irgendeiner Außenposition zu tun. Beobachten, um zu gucken, wie man in die Gruppe reinkommt. Analysieren - das tue ich in der Uni auch, weite aber es auch ins Private aus. Ich habe keine Berufskrankheit, ich habe mir die Krankheit zum Beruf gemacht und drücke mich nun demensprechend legitim und nicht mehr krank aus. Das bedeutet, ich nerve nicht mehr alle mit meinem Analysieren, ich studiere Analysieren (es heißt ja auch wirklich herzlich Kulturanalysen), nerve immer noch, manche sprechen aber mit mir gemeinsam so. So kann auch das außerhalb einer Wertegemeinschaft sein produktiv umgesetzt sein, so kann man gemeinsam mit anderen darüber sprechen. Auch wenn es dann manchmal auch ganz schön ist, einfach das Wir-Gefühl auszuleben.

Feldforschung heißt nach Roland Girtler, die Sprache sprechen zu lernen.
wenn ich etwas doof finde, dann muss ich es beforschung, um mein wertesystem zu relativieren und aus dieser beziehung, in die ich einfach superstark involviert bin, etwas positives - nämlich verständnis - zu ziehen.

analysieren - position

Donnerstag, 5. Juni 2014

Street? Art?

Was sieht man von einer Stadt während eines Städtetrips?
Was sieht man von einer Stadt in der man wohnt?
Außen, Innen - Besuchen, Wohnen.
Die Architektur der Stadt umhüllt das Innen, schützt das Innere.
Architektur umhüllt das Innere. Dann gibt es aber noch die Architektur, die man beim Besuch besuchen kann, um scheinbar das Innere der Stadt zu sehen, die Geschichte, das Leben. Jetzt sind wir Insider.



Alles vor-gesehen. Der Besuch des Edinburgh Castles im Reiseführer, die rote Telefonzelle auf den Klotüren und Wohnzimmerwänden unzähliger Freund_innen, die Silhouette mit Sonnenunterbelichtung im eigenen Fotoalbum und auf der Postkarte. Hallo, Oberfläche, da bist du ja wieder - ich kenne dich noch aus der letzten Stadt.

SCHOTTLAND | EDINBURGH | Warum gefällt Dir das?

Geschmack ist subjektiv.
Das klingt gut. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, sie mag es eben so, er so und ich so.
Foucault sagt, Diskurse bringen Wissen und Macht hervor. Klasse. Und eben Subjektpositionen, die man dann einnehmen kann. Außerhalb dessen gibt es nichts. Hier hieße Subjekt sein, einen Platz eingenommen haben, den die Gesellschaft bereit hält. Geschmack ist subjektiv, aber hier ist subjektiv plötzlich nicht mehr subjektiv. Nicht etwas scheinbar individuelles, unabhängiges, freies. Plötzlich etwas, was von außen kommt und mit der Gesellschaft zu tun hat. Verdammt.
Die Philosophie sucht das Gute, das Wahre, das Schöne. Wie wäre es mit einer Konzeption von Geschmack, vom Ästhetischen als dem Schönen, dem einen Schönen, dass alle schön finden? Und dass unabhängig von Ideologie und Gesellschaft?
Romantik. Nicht nur rosa, glitzernd und von Julia Roberts oder Jennifer Aniston im Kino repräsentiert. Ist auch eine Epoche. Kurz nach der französischen Revolution. Und was hat man da gesagt? Dass Menschen nicht nur irgendwo reingeboren werden, eine Position in der Gesellschaft einnehmen und dies dann einfach ausführen. Das ist ungerecht. Nicht nur der Sohn des Stadtverwalters darf Stadtverwalter werden, auch der Sohn des Bäckers, wenn dieser sich vielleicht sogar besser anstellt (das mit den Frauen lassen wir jetzt erstmal, was diese Zeit angeht). Böse Zivilisation, was macht sie nur mit dem Menschen! Jean-Jaques Rousseau liebte Bergwanderungen, Alpentourismus kam insgesamt auf. Auch wenn Kunstunterricht häufig verdrängt wurde, bestimmte Bildkompositionen wie die des Wanderers über dem Nebelmeer, der Mönch am Meer, sind breit erkannt und werden auch in heutigen Bildern erkannt. Traditionen existieren eben.
Zu dieser Zeit gab es noch so ein paar Männer, die gerne redeten. Nietzsche über das Dyonisische, das Rauschhafte, Schopenhauer über das universale Schöne: das Erhabene. Perfektes Beispiel dafür: Berge, das Meer. Die unendliche Weite und rauschhafte Stärke der Natur. Kenn ich irgendwoher. Und wie guckt man sich das schöne an? Natürlich nicht als Foto auf einem Blog, sondern live, aber davon mal abgesehen: kontemplativ, als reines willenloses Subjekt der Erkenntnis. Loslösung von Zeit und Raum, nicht mehr an kleine Bedürfnisse und sowieso nicht an den Körper denkend. Sich nach außen transzendierend, mit dem Angeschauten verschmelzend. Aber nicht wirklich die Partikularität schauend, nicht die einzelnen Bergblümchen, die Steinstrukturen. Zumindest Schopenhauer geht so weit: man soll an die Urform gelangen, Ideen (Konzept wie bei Platon) schauen, die hinter den Dingen liegen.
Also: Wenn ich vor diesem Berg stehe, kann ich nicht auf gefällt mir klicken, da ich ja nach Schopenhauer mal meinen Körper und den ganzen Krams vergessen sollen. Trotzdem klicke ich auf die Kamera. Mal in Schwarzweiß, weil mir farbige Bergbilder erstmal zu vorgesehen vorkamen. Außerdem wirkt es dramatischer.
Man stelle sich ein Pärchen vor, über welches in der Bildzeitung berichtet wird. Also so richtige Mannfrauklischees. Da mag der Mann sein Auto und seinen Anzug und mag die Frau im pinken Glitzerkleid und Highheels. Und die Frau mag das Auto des Mannes und das sie damit herumgefahren wird und sie mag den Mann im Anzug und sie mag pink und Glitzer, deswegen trägt sie es ja auch.
Aber der Mann mag eigentlich kein pinkes Glitzer, er würde es ja selber nie tragen. Die Frau mag auch keinen Anzug, dass betont ja die Figur gar nicht, die sie sich erarbeitet hat.
Geschmack ist nicht einfach nur subjektiv, nicht verfallen in eine Anschauung. Geschmack sagt einfach viel über die Subjektivität aus. Denn ein gefällt mir! hat etwas mit Identifikation zu tun. Die Frau identifiziert sich eben mit pinken, glitzernden Dingen. Das ist halt weiblich, wie die Katzenberger im Fernsehen. Der Mann nicht so, er ist doch stark und berufstätig, das wäre ihm schon zu albern. Aber an den Frauen gefällt ihm das, denn die sind doch mal zum Angucken, die müssen nichts tun. Es ist paradox: Da gibt es gar kein generelles "schön". Es gibt ein "das guck' ich mir gerne an den anderen an" und ein "das zeig ich gerne an mir nach außen und ich kaufe es auch gerne". Ich und die anderen wird konstituiert, Geschmack subjektiviert, verortet Personen. Ich hier, das gefällt mir hier, du da, das gefällt mir an dir.
Wegrennen. Davor, wenn man plötzlich die pinken High-Heels tragen muss oder wenn man sie eben nicht mehr tragen darf. Up, up and away heißt es auch, wenn manch eine_r gefragt wird "Warum gefällt dir das?"
Interesseloses Wohlgefallen schrieb Kant. Was er damit meinte, war hauptsächlich, dass die wirklich Schönen Sachen nicht Konsumlust auslösen, kein "ich will diese Schuhe kaufen" oder "In dieser Person hat meine Suche nach der Frau für's Leben ein Ende". Damit ist nicht gemeint, dass einem eben einfach etwas gefällt. Es sagt eben etwas über jemanden aus, die Position. Aber das ist nichts schlechtes!
Zeig mir Deine Freunde, und ich sag Dir, wer du bist. Du bist, was du isst. Letzteres sagte Ludwig Feuerbach, Rammstein und sagen healthy Diätratgeber. Verhalten hat was mit dem Wesen zu tun. In welche Richtung (bestimmt das Wesen das Verhalten oder das Verhalten das Wesen?) ist erstmal egal. Aber wie ist das mit dem Gefallen? Fliegt einem das zu, wie die Wolken, leicht, bewegt von irgendeiner äußeren Kraft, sodass man nur noch dastehen und schauen kann? Das Zufliegen des Geschmacks, des Gefallens scheint ja an sich etwas ästhetisches zu sein, sehr hübsch, wenn es so weit außerhalb von einem Selbst ist. Was ist, wenn es - ganz einfach - das Selbst selbst ist?
Da kommt der bedrohliche Spürhund. Stört, wirkt gefährlich, Fletscht die Zähne. Hat er mich gefunden? Geht er weiter? Was sucht er überhaupt noch hier? Und bin ich geschützt, wenn er mich angreift, wird er mich verletzen? Werde ich aufgespürt? - Da verstecke ich mich lieber gleich.
Die große Angst vorm Entdeckt-Werden. Ich stehe auf dem Berg, genieße, finde Gefallen, finde schön, yolo, cool. Warum gefragt werden - Warum gefällt dir das? Das der Hund sprechen und denken kann, macht mir Angst, ich will nicht auch noch analysiert werden, mir gefällt es auch. Ich steh' hier und das ist gut so, lass mich allein.
Das Erhabene, das große Gebirge, wie schön. Und die eigene Position. Und der/die Andere, der was von einem will. Seiten, Pole, Ufer, Berghänge, Verstecken. Ging es bei diesem Gefallen nicht eher um Transzendenz als um Grenzen?
Das "gefällt mir" bei Facebook etwas über die Person aussagt, wissen mittlerweile schon Schreibende der Bildzeitung. Warum gefällt dir das? Frage ich nur allzugerne. Und damit will ich nichts töten, sondern ich will kennen lernen. Denn so sehr das verbal stumme Äußere doch über das Innere spricht, so schwer ist es lesbar. Und langsam wird sichtbar, dass der bedrohliche Hund auch Spielgefährte auf dem Platz auf dem Berg sein kann. Vielleicht wollte er ja nur dorthin zurück, wo er herkommt.