Dienstag, 1. Oktober 2013

Körpereinsatz


An einem töften Towson-Tag durften wir Material Girls Cathryn, die Tanz- und Performance-Dozentin

der Musiker_innen, begleiten. Zuerst hieß es Major Ballet class - einfach nur wow! ;-)

Beeindruckende Schülerinnen, ein lebendiger und so positiver anteilnehmender Lehrstil und unübliche musikalische Begleitung - ein Percussionist hat die Stunde mit wohligen Klängen und abwechslungsreichen Rhythmen live begleitet und damit mehr als gut das sonst gebräuchliche Klavier ersetzt.
Cathryn begründete ihre Vorliebe für die Percussionbegleitung mit der erdigen ehrlichen Klangfarbe damit, dass der Rhythmus und Klang der Trommel die Schülerinnen ihrem Selbst im sich bewegenden Körper näher kommen. Die Schellen schaffen durch staccatoartige Betonungen nuancierte Bewegungsabläufe.


Die Schülerinnen dieser class sind fortgeschrittene Tänzerinnen und scheinen ein für mich unvorstellbares Körpergefühl zu haben: Beine heben mit geöffneter Hüfte um Verkrampfungen vorzubeugen, Bewegungsrichtung denken, Ausdruck reinlegen.. Sie wissen genau was sie tun. Für meine Augen waren das abenteuerlichste Verrenkungs-Bewegungen, ausgeführt mit konzentrierten und fokussierten Gesichtern, in hingebungsvoller Perfektion und scheinbarer Leichtigkeit..

Da haben wir auf unserer Zuschauertribüne gleich Lust bekommen uns selbst in solch elegante Bewegungen zu begeben..

Beidseitiger Applaus. Thanks for having you here. Thanks for having US..



Kaum war der Mitmachgedanke geboren wurde er in die Tat umgesetzt: wir durften aktiv an einer Modern Dance class teilnehmen. Hier fanden sich Studienanfängerinnen von Tanz und Performance, mit denen wir von einer Gastdozentin und dem Dozent Vince und wieder einem Percussionteam begrüßt wurden.

Die Dozentin, eine eher kleine schmale Frau gesetzteren Alters mit wuseligen Haaren und tänzerischen Bewegungen, eröffnet die Stunde, in dem sie die im großen Kreis Stehenden auffordert, nacheinander den Namen zu sagen. Das geschieht mit steigender Geschwindigkeit ringsum und sie fragt, wie sich das Gefühl verändert hat. Etwas verdutzt antworten einige Studierende, es sei eine angenehmere Atmosphäre entstanden, man kenne jetzt die Namen, habe schon einmal jede Stimme gehört, Blicke ausgetauscht.
In der zweiten Runde sollten eine beliebige Farbe oder ein Tier gesagt werden - es ging ringsum und wieder stellte sie die Frage nach dem Gefühl. Etwas Entscheidendes hatte sich verändert: die Studierenden waren aufgeregter als vorher, was drückte die gewählte Farbe oder das Tier, das man wählte über einen aus? Man wollte sich nicht wiederholen, Einzigartigkeit und Kreativität beweisen..
Die nächste Übung ließ die Dozentin zu meiner Freude nur für einen kurzen Moment laufen: nacheinander sollten die Studierenden eine Bewegung vormachen, die der ganze Kreis nachahmen sollte: meine Güte, war ich nervös und dann hat eine vor mir doch tatsächlich die Bewegung gemacht, die ich mir zurecht gelegt hatte..

Erneut wurde zur Reflexion aufgefordert: was können wir eigentlich? Aufmerksam beobachten und reagieren, folgen, nachahmen, das Gesehene auf unseren Körper übertragen, Eigenheit in die Bewegung hineinlegen, Ausdruck, Körperspannung..

Es folgten weitere ähnliche Übungen, die die Studierenden jedoch in den Raum verstreuten. Ich war beeindruckt von der Vielseitigkeit der aufkommenden Bewegungen, doch besonders von der geforderten Körperreflexion. Ich fühlte mich als deutsche Studentin der Materiellen Kultur wahnsinnig auffällig: zwar zugewandt, aber doch eher steif, nicht fähig auf ein Repertoire von tänzerischen Bewegungen zurück zu greifen.. ich dachte an mich in lesende Pose als Körperwissen aus dem Studium! Über den eigenen Schatten zu springen und einfach mitzumachen war für mich das schwierigste.

Ähnlich wie bei der Major Ballet class sind die Studierenden auch beim Modern Dance aufgefordert, sich und ihren Körper zu reflektieren und Bewegungen Ausdruck zu verleihen und als Ausdrucksmittel zu verstehen, Bewegungen aus sich heraus zu generieren.

Eine weitere Erfahrung wirklichen Körperwissens bot sich uns in der Gesangstunde von Katie, der wir beiwohnen durften. Gespannt saßen wir wieder als Zuschauerinnen am Rand und beobachteten die Szene: die Gesanglehrerin Terri am Klavier in ihrem mit Teppich ausgelegten Büro und Katie aufrecht und konzentriert hinter ihrem Notenpult schräg vor dem Klavier.
Bisher hatten wir Katies Stimme als tief und kräftig erfahren und waren umso beeindruckter, als sie zwar ebenso kraftvoll, doch um einige Oktaven höher zuerst ein französisches und dann ein deutsches Lied sang.

Atemtechnik perfektionieren, Töne und
Richtungen denken, Mund formen.. für uns kaum bis gar nicht hörbare Unterschiede wurden intensiv bearbeitet.
Nach einer halben Stunde kam eine Pianistin dazu, so dass Terri sich voll auf die Technik konzentrieren konnte.. wir staunten!

An diesem Tag habe ich den Körper als Arbeitsmaterial und Kapital ganz anders begreifen gelernt.


Neue Städte, alte Freunde

Shop till you drop - Konsumkultur in Teilen Ostamerikas

That's what people do on Sunday mornings..

Heute Morgen war ich mit Tate an seinem Arbeitsplatz: der Epiphany Episcopal Church! ..Pisco-was?

Im Grunde handelt es sich bei der Kirche um eine katholisch-anglikanische staatliche Kirche. Tate, ein Projektteilnehmer aus Towson, arbeitet in der Kirche als Vokalist und verdient wie er sagt jede Menge Asche. Überhaupt arbeiten viele der Amerikaner_innen in Kirchen und nehmen dafür sogar einstündige Anfahrten mit dem eigenen Wagen in Kauf, wie es bei Katie, der Gastgeberin von Inga und Pia, der Fall ist.
Wie dem auch sei, der Kirchgang war eine besondere Erfahrung für mich, obwohl oder vielleicht auch gerade weil ich mit und in der katholischen Kirche aufgewachsen bin.

Die Kirche ist ein Gebäude, das von eher einer Highschool gleicht als dem, was wir als Kirche identifizieren. Der Innenraum überzeugt mich dann aber doch: ein großer Raum mit hohen, holzverkleideten Decken, Licht durchflutet von der durch die bunten Glasscheiben scheinenden Sonne, in zwei Blocks Kirchenbänke hintereinander gestellt und nach vorn ausgerichtet, wo sich Priest Kristof zur Gemeinde gewandt später wiederfindet. Er hat alle eintretenden Gemeindemitglieder mit Handschlag und einem warmen Lächeln persönlich begrüßt, ist gut drauf.
Ich setze mich in die letzte Bank, lasse meinen Blick durch das noch leere Kirchenschiff schweifen und lausche dem Chor beim Einsingen vor der Orgel, die eine Frau mit grauer Krause mit ganzem Körpereinsatz bespielt.
Der Chor, bestehend aus etwa 10 Personen ist in schwarz-weiße Talare gekleidet und zieht mit den Messdiener_innen und den Geistlichen ein. Das "Programmheft" sagt: Enter in Silence. Es gibt ein Kreuz, Kerzen und lächelnde Gesichter - ich habe noch nie so betagte Messdiener_innen gesehen - da muss Hingabe hinterstecken. Die Sänger_innen verteilen sich zu beiden Seiten der Gemeinde und schmettern los: Praise, my soul, the King of heaven.. Ich denke: DANKE! Amerikanischer Überschwang und stimme schief, aber laut und voller Inbrunst mit ein! ;-)

Die Messe verläuft wie gewohnt: Gruß, Gloria, Lesungen, Predigt, Kommunion, Gebete..
Ich fühle mich sehr an damals erinnert und es ist doch wie ein Spiel, da ich alles einfach auf Englisch nachspreche. Ich gehe zur Kommunion und empfange kniend ein süßes Stück Brot, beinahe Kuchen, und Rotwein - genauso wie die vielleicht 5 und 7 Jährigen neben mir..
Es gibt Kommunionhelfer_innen, Kelch und Schale aus Gold.
Auf meinem Rückweg schaue ich mir die Gemeinde genauer an: Junge und Alte, Familien, ein Hund.. auffallend viele tragen violette Shirts. Bein näherem Hinsehen identifiziere ich sie als Footballshirts der Mannschaft Baltimore Ravens und mir fällt ein, dass diese heute ein Spiel haben.
Einige haben einen dieser typischen Auffüllbecher mit Strohhalm dabei und trinken während der Messe - ich trinke auch etwas aus meiner neuen Trinkflasche der Towson University: es fühlt sich irgendwie falsch an, was daran liegt, dass es in der Kirche meiner Kindheit absolut verboten war und daher gar nie in Betracht gezogen wurde.
Die Frau in der Reihe vor mir flüstert mir ein Kompliment für meine Jacke zu. Yeah, endlich! ;-)
Als es zum Friedensgruß kommt schüttle ich die Hände der mich umgebenden und richte meinen Blick wieder nach vorn, wo ich eine sich zerstreuende Gemeinde sehe - alle verlassen ihren Platz und bewegen sich durch den Raum, um noch mehr Leuten den Frieden zu wünschen. Es entsteht eine wabernde Unordnung mit anschwellender Geräuschkulisse.. Das geht so weit, bis der Pastor die Gemeinde mit erhobener Stimme auffordert wieder auf ihre Plätze zurück zu kehren, Kaffeeklatsch könne im Anschluss gehalten werden, die Gemeinde lacht.

Nach der Messe verteilen sich die Leute langsam, manche lauschen dem Orgelspiel, manche unterhalten sich. Im Vorraum ist nach meinem Begriff ein ganzes Büffet aufgebaut: Kekse und Kuchen, Limonade, kleine Sandwichecken.. Kaffee gibt es aber auch!

Dieses Bild zeigt zwar nicht das originale Buffet, jedoch wäre so eine Etagére nicht weiter auf dem tatsächlichen Tisch aufgefallen!












Eine etwas andere Sonntagvormittagserfahrung hat eine andere Projektteilnehmerin Sina gemacht. Sie und ihr Freund Thomas haben mit ihrem Host Brian und seiner Familie ein frühmorgendliches Grillen besucht - Vorbereitungen für das Ravensspiel. Um 6 Uhr in der Frühe treffen sich die Fans vor dem Stadion und grillen an. Sina hatte Eier und Speck vom Grill zum Frühstück, Thomas ein Hot Dog.. 
Manche der 'Griller' gehen noch nicht mal zum Spiel - das Event drumherum ist das Event, wie wir schon beim Football festgestellt haben.

An diesem Sonntag folgt vielversprechend die letze Aufführung des Acapellakonzerts und der Ausstellung. Finale in Towson!