Freitag, 24. September 2010

La-La-Lernen ohne Aufpasser

Ich schreibe manchmal Artikel für meine alte Schülerzeitung. 
Hier ist ein neuerer, mit Gummibärchenstudenten:) Bild weiter unten.


(Lalala)
Hallo!
(Lalala, Ding Dong)
Stellt euch mal was ganz tolles vor. (lalala, dingeldongel, lalala) Ihr seid, was ihr seid, Schüler, aber ihr seid, was ihr einerseits seid und andererseits auch nicht seid: (lalala) frei. (lalala)
Stellt euch vor, es ist viertel vor 10 (lalala!) und ihr müsstet erst in einer Viertelstunde beim Unterricht sein. (LALALA!) Aber was heißt hier ihr „müsst“: ihr müsst gar nichts (ding dong ding dong)! Es wäre gar nicht schlimm, wenn ihr nicht zum Unterricht kommt. Niemand fragt nach einer Entschuldigung, niemand gibt euch einen Strich für nichtgemachte Hausaufgaben (LA! LA!) und niemand droht damit, „mal mit euren Eltern darüber zu reden“. Ihr müsst nicht zum Unterricht, ihr müsst nur kurz vor den Ferien einen großen Test über das Thema bestehen. Ihr könnt euch selber einteilen, wann ihr lernt. Ihr werdet nicht bestraft und müsst euch nicht entschuldigen, wenn ihr jetzt lieber zu Hause bleiben wollt. Niemand wird nachfragen.
(LaLalllllkkkkrrrrrr…) Okay, Musik aus. Kennt ihr „autogenes Training“? Eine Entspannungsübung, wo man auf seine Atmung achtet und dann ganz toll die Wärme spürt und so. Habt ihr vielleicht mal im Sportunterricht gemacht. Oft soll man sich dann bei Meeresrauschen vom CD-Player vorstellen, dass man auf einer Insel liegt und durch die Gegend fliegt oder so. Das habe ich gerade versucht, mit euch zu machen (ich hoffe, ihr lagt auch auf einer Entspannungsmatte und habt die sanfte Harfenmusik (àlalala) gehört). Bloß solltet ihr euch eine traumhafte Situation vorstellen. NICHT ZUM UNTERRICHT GEHEN ZU MÜSSEN, OHNE STRAFE – ist das nicht wirklich ein Traum? Selbst entscheiden können. Frei sein.
Solche Zustände herrschen aber nicht nur in Ländern, in denen rosa Zuckerwatte aus Schornsteinen fliegt und alle Menschen ständig Ringelrein tanzen: So was gibt es in dieser Welt. In Deutschland. In eurer Stadt. Also Oldenburg. Hier!
Und ich bin eine von diesen Glücklichen, „Freien“ geworden. Und ich war auch mal auf der Cäci.
Leider muss ich sagen, die Rede ist nicht von Schülern. Sondern von Studenten. Wie ihr vielleicht wisst, gab es letztes Jahr, 2009, ganz große Studentenproteste, Demonstrationen, Streiks. Denn die Studenten haben sich nicht frei genug gefühlt. Sie streikten aber nicht dagegen, dass sie studieren müssen, denn das tun sie ja „frei-willig“. Sie streikten für bessere Bildung. Und trotzdem ist das Ergebnis des Streiks für das Sommersemester 2010, zumindest in der Uni Oldenburg bei den Fächern, die ich kenne, dass die „Anwesenheitspflicht“ abgeschafft wurde. Früher wurde den Studenten ein Seminar nur angerechnet, wenn sie höchstens zwei Mal gefehlt haben (aber auch da mussten sie sich nicht entschuldigen). Jetzt müssen sie dem Dozenten, also dem Uni-Lehrer, wohl bekannt sein, er muss „das Gesicht mal im Seminar gesehen haben“, sie bekommen die Noten aber auch angerechnet, wenn sie nicht immer anwesend waren. Der Traum eines jeden Schülers? Kann man ohne Zwang besser arbeiten? Außerdem wird im Seminar zwar immer diskutiert und man muss sich mit Texten und so weiter vorbereiten, die Mitarbeit ist für die Endnote aber egal – es gibt keine mündlichen Noten in der Uni.
Stellt man sich sehr gut vor. Wenn man gerade sehr müde ist, weil man auf einem Geburtstag war oder ähnliches, geht man nicht zum Unterricht, sonst geht man aber hin und ist auch ganz toll engagiert, weil man studiert ja freiwillig und für sich selbst.
Jetzt stell ich euch noch ein anderes, wahres Szenario vor, das ich tatsächlich ziemlich genau so erlebt habe.
Psychologieklausur. „Multiple Choice“, das heißt Ankreuzen von richtigen Antworten, 24 Fragen mit je fünf Antwortmöglichkeiten. Ihr habt gelernt, sogar das ganze Wochenende, einen ganzen „Reader“, eine Art Buch mit vielen zusammengestellten Texten zum Thema, habt ihr durchgearbeitet. Es gab auch eine Psychologie-Vorlesung zum Thema, also etwas, was man in der Schule etwa „Frontal-Unterricht“ nennt: der Lehrer steht vor der Klasse (in diesem Fall vor etwa 300 Studenten) und erzählt, erzählt, liest vor, zeigt etwas mit dem Overheadprojektor, erzählt. Über diese Vorlesung schreibt ihr aber nicht den Test. Nur über die Texte.
Nun gibt es ein Problem: normalerweise sind etwa 300 Leute bei der Vorlesung, der Saal hat auch Platz für genau so viele. Jetzt wollt ihr den Test schreiben. Das geht aber nicht, denn jetzt sind plötzlich über 500 Leute hier im Saal, die zeigen wollen, dass sie in Psychologie eine gute Note verdient haben. Es muss also ein anderer Raum her. In einem zweiten Vorlesungssaal bekommt ihr einen Platz und einen Test. Ihr dürft anfangen, der Dozent geht aber in den anderen Saal und verteilt dort die Tests zum ausfüllen. Ihr wollt den Test ausfüllen, es ist aber sehr laut, die anderen unterhalten sich über den Test, über das Wochenende, lachen laut über die Situation. Alle schreiben ab oder rufen laut Fragen in den Raum. Zwischendurch kommt der Dozent wieder in den Raum. Dann ist es still. Man hört nur noch das Schreiben der Stifte. Als der Dozent aber wieder in dem anderen Saal Aufsicht führen muss, wird es wieder laut. Am Ende der Stunde gebt ihr den Test ab.
Nach einer Woche bekommt ihr die Ergebnisse. Es gibt hauptsächlich Einsen und Zweien.
Und das Beste: In Oldenburg muss man den Psychologie-Test im Studium machen, wenn man auf Lehramt studiert. Wenn man Lehrer werden will. Und später benotet, wie gut jemand gelernt hat – und nicht, wie gut abgeschrieben.

Die Abschlussfrage in Jana Sterns Artikel „Kann man ohne Lehrer besser lernen?“ lautet: „Würdest du lernen, wenn es keiner überprüfen würde und ohne Bestrafungen oder Sanktionen von Lehrern?“ Weiter schrieb sie von einer Studie, in der Oberstufenschüler teilweise sogar bessere Erfolge hatten durch selbstorganisiertes Lernen ohne Lehrer, also Aufpasser.
Mir persönlich gefällt es natürlich viel besser, selbst organisieren zu können, wann ich lerne. Aber man muss es auch tun. Und wenn das nicht geschieht, nützt auch die Möglichkeit des Abschreibens nicht – wenn alle um einen herum genauso wenig wissen wie man selbst (es gab sogar Fünfen bei dem Psychologietest!). Es mag ein tolles Erlebnis sein, sich während eines Tests nicht nur über diesen zu unterhalten – und neben den Witzen nachher auch noch gute Noten zu machen. Aber wundert euch nicht, wenn eure Lehrer euch später ständig bestrafen, weil sie nämlich nicht gelernt haben, dass das auch schlechte Folgen für’s Lernen haben kann. Denn auch das war für ein Thema des Tests.

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